Roundtable „‚Neue Musik‘ des 12. Jahrhunderts“

22.01.2020 18:30

Repertoire, Performanz und digitale Edition der Handschrift Paris BN lat. 1139 (Campus aktuell)

22. Jänner – 18:30–20:30 Uhr – Hörsaal 1 des Instituts

Die Handschrift Paris BN lat. 1139 darf als Paradigma der „musikgeschichtlichen Wende um 1100“ (Wulf Arlt) gelten, denn sie vereint in singulärer Weise zentrale Innovationen ihrer Zeit: „Neue Lieder“, in denen das Gestalten neuer Formen im Zentrum steht, verbinden sich mit einer neuen Mehrstimmigkeit, die bisweilen als „Anfang europäischen Komponierens“ gehandelt wurde. Mit zweisprachigen Gesängen verweist die aquitanische Handschrift auf die Nähe zur neuen volkssprachlichen Kultur der Troubadours und hält zugleich traditionelles liturgisches Repertoire neben neuen Gattungen präsent.

Die Aufführung ausgewählter Stücke durch das renommierte Basler Ensemble Peregrina (u.a. Preisträger Klassik-Echo 2009) vermittelt eine Vorstellung vom Klang der „Neuen Musik“ des 12. Jahrhunderts. Im Dialog vom Vertretern der Musikpraxis und der Wissenschaft verhandelt der Roundtable die Herausforderungen und Möglichkeiten der Sicherung der Grundlage, nämlich der Quellenbefunde in ihren materiellen und philologischen Dimensionen.

Die Erstedition der Handschrift, die in Kooperation von Forscher-Musikern und Wissenschaftlern der Schola Cantorum Basiliensis sowie der Universitäten Wien und Würzburg entsteht, geht dabei neue Wege, indem sie die Vorzüge des gedruckten Buchs mit den Möglichkeiten digitaler Technologie in einer Hybrid-Edition verbindet. Die historisch singuläre Quelle wird in der Druckausgabe in ihrer ursprünglichen Anordnung mit allen originalen Lesarten ediert, sowie paläographisch und handschriftenkundlich kommentiert.

Dem Umstand, dass (musikalische) Texte des Mittelalters per se und in ihrer Überlieferung variable Texte sind, trägt die digitale Edition Rechnung. Sie speist die Ausgabe in die Datenbank des Editionsprojekts Corpus monodicum (Universität Würzburg, Akademie der Wissenschaften Mainz) ein, in der alle überlieferten Versionen der Gesänge synoptisch darstellbar und als digitaler Volltext im Kontext des größten edierten Bestandes mittelalterlicher Einstimmigkeit durchsuchbar sind

Während der Druck die Quelle als singuläres historisches Objekt exponiert, platziert die digitale Edition die Gesänge somit in ihrem Netzwerk von Überlieferung und Herstellung. Zugleich nähert sich die digitale Edition einer Option, die bisher der Praxis vorbehalten war: Sie zeigt verschiedene plausible Lesungen komplexer Quellenbefunde, womit trügerische Festlegungen für die Wissenschaft vermieden und künstlerische Spielräume für die Praxis eröffnet werden.

Diskussion:
Agnieszka Budzińska-Bennett (Basel), David Catalunya (University of Oxford), Andreas Haug (Universität Würzburg/Wien, IFK), Jeremy Llewellyn, Anna Sanda und Konstantin Voigt (Universität Wien)

Musik:
Ensemble Peregrina (Basel): Agnieszka Budzińska-Bennett und Hanna Järveläinen

Organisation: Anna Sanda und Konstantin Voigt

Flyer als PDF zum Download