Musik als Text und/oder Performance: Virtuosität als Streitpunkt der Musikgeschichte

Camilla Bork (Berlin/Oldenburg)

Ringvorlesung Musik Kultur Wissenschaft II am Mittwoch, den 25. April 2012

Virtuosität als Phänomen (nicht nur) musikalischer Aufführungen ist besonders in den vergangenen zehn Jahren verstärkt ins Zentrum musik- und kulturwissenschaftlichen Interesses gerückt. Eng verknüpft ist dieses Interesse mit dem Aufstieg der sogenannten Performance Studies.

Die Vorlesung nimmt diese Entwicklung zum Anlass, um die Karriere des Begriffs und Konzepts „Virtuosität“ sowie ausgewählte Stationen seiner Forschungsgeschichte zwischen den Paradigmen „Text“ und „Performance“ zu untersuchen. In einem ersten Schritt wird nach den begriffsgeschichtlichen Voraussetzungen gefragt, indem einige semantische Verschiebungen vor allem im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund eines grundlegenden Wandels der musikalischen Aufführungsästhetik rekapituliert werden. Ein zweiter Teil wendet sich der Frage zu, inwiefern sich Aspekte der Begriffsgeschichte des 19. Jahrhunderts auch in neueren Forschungsansätzen niederschlagen. Am Beispiel von zwei mittlerweile kanonischen Texten, dem Kapitel „Virtuosität und Interpretation“ aus Die Musik des 19. Jahrhunderts von Carl Dahlhaus und „Die Szene des Virtuosen“ von Gabriele Brandstetter, sollen zwei Ansätze kritisch diskutiert werden. An einem Fallbeispiel zu Paganinis Violincapricen geht es abschließend darum, alternative Wege aufzuzeigen.

Mitschrift der Vorlesung

Lektüreempfehlungen

Carl Dahlhaus, „Virtuosität und Interpretation“, in: ders., Die Musik des 19. Jahrhunderts, Laaber 1980 (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6), S. 110-117.

Gabriele Brandstetter, „Die Szene des Virtuosen“, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur Europäischen Moderne 10/2002, Freiburg 2002, S. 213-243.

Publikationen zum Thema der Vorlesung:

„,Fülle des Wohllauts’. Chopins Nocturne op. 9, 2 im Spiegel der Violinvirtuosität um 1900“, in: Ereignis und Exegese. Musikalische Interpretation und Interpretation der Musik. Festschrift Hermann Danuser, hrsg. von Camilla Bork, Tobias Robert Klein, Burkhard Meischein, Andreas Meyer und Tobias Plebuch, Schliengen 2011, S. 446-458.

„Gesten der Überbietung. Zu einem Muster virtuoser Konzertdarbietung im frühen 19. Jahrhundert“, in: Genie – Virtuose – Dilettant. Konfigurationen romantischer Schöpfungsästhetik, hrsg, von Gabriele Brandstetter und Gerhard Neumann, Würzburg 2011, S. 127-150.

Musikalische Analyse und kulturelle Kontextualisierung. Gewidmet Reinhold Brinkmann, hrsg. von Tobias Bleek und Camilla Bork, Stuttgart 2010

Virtuosität und Transkription Musiktheorie Heft 4/2010, hrsg. von Camilla Bork

Biographische Notiz

Camilla Bork studierte Musikwissenschaft, Komparatistik, Publizistik und Violine in Mainz und Berlin. 2001 wurde sie mit einer Arbeit zu Paul Hindemith promoviert (Im Zeichen des Expressionismus. Kompositionen Paul Hindemiths im Kontext des Frankfurter Kulturlebens, Schott-Verlag, Mainz 2006). Im Anschluß war sie als Wissenschaftliche Assistentin am Musikwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität Berlin, von 2003 bis 2005 als Postdoc-Stipendiatin des DAAD am Music Department in Stanford tätig. Sie forschte dort u.a. zur Figur des Virtuosen und der Diskussion über musikalische Aufführung im frühen 19. Jahrhundert. Seit 2011 vertritt sie eine Professur für Kulturgeschichte der Musik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Derzeit arbeitet sie an einem Habilitationsprojekt zu Repräsentationen des Violinvirtuosen in der Zeit von 1800 bis 1840. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Verbindungen von Kultur- und Musikgeschichte, Ästhetik und Geschichte musikalischer Aufführung in Konzert und Oper sowie die Wechselbeziehungen von Musik und Politik. Sie publizierte u.a. zum Musiktheater in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu Musikerziehung und Musikpolitik der Weimarer Republik, zu Komposition und Ästhetik Paul Hindemiths sowie zu Virtuosentum und Virtuosität im 19. und 20. Jahrhundert.