Mit langem Atem

Bericht über den Festabend der Denkmäler der Tonkunst in Österreich mit Buchpräsentation der ersten drei Bände der New Senfl Edition

von Clara Schmidt

Alte Musik zum Klingen bringen – das war Ziel und Inhalt des Festabends zur „New Senfl Edition“. Das Forschungsprojekt, das in jahrelanger akribischer Arbeit das Werk des Komponisten Ludwig Senfl aufarbeitet, präsentierte am Donnerstag, den 2. Juni 2022 die ersten drei Bände der neuen Gesamtausgabe.

Die Musik des 16. Jahrhunderts wird überstrahlt von Größen wie Josquin. Doch Ludwig Senfl (ca. 1490–1543), ein Kosmopolit seiner Zeit zwischen der Schweiz, Süddeutschland und Wien, hinterließ eine ungeheure Zahl an Kompositionen. Dazu gehören Motetten und Messen, Propriums­vertonungen wie auch weltliche Lieder zur Unterhaltung. Diese sind durch diverse Quellen überliefert, die durch ein Forschungs­team um Stefan Gasch, Sonja Tröster und Scott Edwards derzeit gesichtet und ediert werden. Nun sind die ersten beiden Module abgeschlossen, drei Bände mit Motetten wurden 2021 und 2022 herausgegeben. Ein Grund für einen Festabend!

© Philipp Steurer

Das Ensemble Sourcework aus Boston sang aus dieser neuen Edition und gab dem Abend Form und Farbe. Die vier Musiker*innen forschen selbst auch zu Alter Musik – und waren somit auch Ansprech­partner für alle Fragen zur Aufführungs­praxis. Senfls Musik zeugt von großer Expressivität und großer deklamatorischer Qualität. Das Ensemble, das normalerweise auf das Singen aus Original­manuskripten spezialisiert ist, gestaltete diese Motetten und verwandelte die Notation in Musik.

Das Ensemble Sourcework; © Philipp Steurer

Die circa drei- bis zehn­minütigen Motetten werden von vier Stimmen gesungen, die in den Stimm­lagen bereits der Aufteilung von Sopran, Alt, Tenor und Bass­lage ähneln. Eine vorgegebene Melodie wird variiert, die meist schon viel älter ist als die Komposition. Eine Stimme stellt diesen cantus firmus vor, und gleich darauf wird darauf regiert, Teile der Melodie zitiert, Duo- oder Triopartien bilden sich heraus, manche Stimmen führen, manche schmücken aus. Dadurch ergeben sich immanente Strukturen, Kadenzen und Teile unterschiedlichen Charakters. Diese werden durch das Ensemble besonders hervorgehoben: Sourcework arbeitet dynamisch und agogisch mit diesen sehr „rohen“ Werken und schafft es, Geschichten zu erzählen, sogar den Text lebendig zu machen. Die musikwissen­schaftlichen Einleitungen zu den Werken von Stefan Gasch, Scott Edwards und Sonja Tröster zu Entstehung und Details gaben der Aufführung Tiefgang.

Die Forschung zur Aufführungs­praxis dieser Alten Musik wirft teils mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Wie wird der Text auf die Silben verteilt, mit welcher Klangfarbe wird gesungen, welche Tempi werden verwendet? Dies konnte mit dem Ensemble anschließend an die Veranstaltung bei einem Glas Wein erläutert werden. Doch es zeigt sich: Viele Details bleiben der Gegen­wart verschlossen, es gibt wenige Anhalts­punkte wie Traktate, die Orientierung bieten. 

Die „New Senfl Edition“ ediert nicht nur die Werke des Komponisten, sondern forscht auch zu deren Hintergründen. Senfl, der vermutlich in Basel oder Zürich geboren wurde, war lange Jahre seines Lebens am Münchner Hof aktiv. Dort liegen bis heute, in der Bayerischen Staatsbibliothek, die zentralen Quellen für die gegenwärtige Edition. Die überlieferten Werke werden häufig überdeckt von der Alte-Musik-Begeisterung des 19. Jahrhunderts. Die Ausgabe unternimmt deshalb den Versuch, Schicht für Schicht von Überformungen von den Werken Senfls abzutragen, um zu ihrem Original­zustand zu gelangen. Dabei sind die überlieferten Werke auch nicht automatisch mit dem tatsächlichen Repertoire gleichzusetzen. Welche Werke zu Senfls Zeiten wofür genutzt wurden, erfordert eine noch tiefere Beschäftigung, nicht nur mit der Musik selbst, sondern auch mit der Zeit, den Personen­netzwerken und Musikpraktiken. Um die Motetten innerhalb Senfls Schaffen zu differenzieren, aber auch mit Motetten seiner Zeitgenossen zu vergleichen, müssen erst Vergleichs­kriterien entwickelt werden.

Stefan Gasch, Leiter der New Senfl Edition; © Philipp Steurer

Birgit Lodes, Leiterin der Publikationen der DTÖ; © Philipp Steurer

Schirmherr der Veranstaltung waren die „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“ unter der Präsidentschaft von Maximilian Eiselsberg und der Leitung von Martin Eybl und Birgit Lodes. Die traditionsreiche Reihe, die nächstes Jahr ihr 130-jähriges Bestehen feiert, reiht damit Senfls Schaffen in eine illustre Reihe von Kompositionen mit Österreich-Bezug ein. Senfls Musik findet in der Zusammen­stellung der DTÖ einen Platz, als doch Senfl an der Universität Wien studierte und einen Teil seines Lebens in Wien als Musiker und Komponist wirkte. Die DTÖ erscheinen im Hollitzer-Verlag Wien.

Wie geht es nun weiter mit der „New Senfl Edition“? Noch 2022/23 werden ein weiterer, letzter Band mit Motetten sowie ein Band mit Mess- und Magnificat­vertonungen erscheinen. Nach den zwei abgeschlossenen Modulen à drei Jahren sollen drei weitere folgen, die nächste Publikation wird sich mit einem großen Anteil an Senfls Repertoire, den Proprien­vertonungen, beschäftigen. Eine Fortsetzung der Förderung durch den FWF ist für die nächsten drei Jahre gesichert, ebenso die institutionelle Anbindung an die mdw – Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Damit verbunden ist das Ziel und die Hoffnung, dass das Projekt bis zur Fertigstellung weiter finanziert wird und kein Editions­rumpf bleibt, wie andere Senfl-Editions­projekte des 20. Jahrhunderts. Die Mitarbeiter*innen für die nächste Etappe dieses Großprojekts stammen teils aus den Reihen des Musik­wissen­schaftlichen Instituts der Universität Wien. Wir wünschen ihnen viel Erfolg für ihre künftige Arbeit!


Das Herausgeber*innen-Team der ersten Bände der „New Senfl Edition“ gemeinsam mit den beiden Leitern der Publikationen der Denkmäler der Tonkunst in Österreich:

von links: Stefan Gasch, Birgit Lodes, Sonja Tröster, Martin Eybl, Scott Edwards; © Hollitzer Verlag 2022

Einen weiteren Bericht über den Abend finden Sie auf bohema.