Unsere Universität feiert sich selbst. Was bedeutet das?

Eine Doktoranden-Initiative zur Reflexion der Geschichte am Institut für Musikwissenschaft zum 650. Jubiläum der Universität Wien 2015

Die Universität Wien feiert sich selbst, und das ein ganzes Jahr lang. Ein solcher Umstand gibt in der Tat zu denken: der Öffentlichkeit, aber vor allem auch denen, die der Institution gegenwärtig angehören und sie damit täglich aktiv zu dem machen, was sie ist und sein kann. Ganz besonders für eine akademische Bildungseinrichtung impliziert ein großes, zumal mit viel öffentlicher Werbung und allerlei Festakten einhergehendes Jubiläumsjahr wie jenes zum 650. Bestehen der Universität Wien im Jahr 2015 die intellektuelle Auseinandersetzung der Universität und ihrer Akteure mit sich selbst. Dies bedeutet, ein Jubiläum kann zum Impuls werden, in konzentrierter Form von individuellen Standpunkten aus über die Universität nachzudenken; sich zu beschäftigen mit Aspekten ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; Entwicklungen, Rahmenbedingungen und Ergebnisse von Lehre und Forschung zu reflektieren, und sich natürlich auch mit den hinter dem Begriff „Universität“ stehenden Menschen zu befassen, welche das akademische Leben in unterschiedlichen Rollen gelebt und verantwortet haben, es aktuell gestalten und dies vielleicht zukünftig tun werden. Die 650 Jahre, welche die Universität Wien im Blick auf sich selbst feiert, umfassten 2015 auch 154 Jahre der formal etablierten akademischen Musikforschung.

Dies nahm eine im Januar 2015 entstandene Initiative von Doktoranden am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien zum Anlass, um sich im Verlauf des Jahres 2015 mit einigen für sie besonders interessanten, ausgewählten ehemaligen Doktoranden des Instituts im Kontext ihrer Zeit auseinanderzusetzen. Einige der zentralen Fragen der Forschungsarbeit lauteten: Wer waren die jeweiligen Persönlichkeiten? Was verband sie mit der Universität Wien, was trennte sie von ihr? Was trieb diese Menschen um, wofür begeisterten und engagierten sie sich? Welche waren ihre Forschungsinteressen? Wie sah ihr individuelles fachliches Profil aus, und woraus war es entstanden? Wie verlief ihr weiterer Berufs- und damit ihr Lebensweg? Auf welcher Basis hat sich dies entwickelt, welche entscheidenden Ereignisse an der Universität Wien haben sie nachhaltig geprägt? Welchen Beitrag haben diese einzelnen „Köpfe“ von ihrem jeweiligen Standpunkt aus für die Musikwissenschaft geleistet, welche Impulse haben sie während ihrer Bildungszeit am Wiener Institut erhalten? Welche Konsequenzen zog dies nach sich – persönlich, professionell und im Blick auf die weitere Geschichte der Musikforschung?

Die damit skizzierte Beschäftigung mit den Arbeits- und Lebenssituationen einzelner Kollegen aus der Instituts-Vergangenheit durch aktuelle Doktoranden bot einerseits Gelegenheit, sich mit den Bedingungen und Konsequenzen des Promovierens unter wechselnden historischen Vorzeichen – insbesondere zu Zeiten des nationalsozialistischen Regimes – eingehender zu befassen. Dabei waren manche, bis dato unbekannte Details zu erfahren. Zugleich wurde die Auseinandersetzung mit früheren Doktoranden den an der Initiative Beteiligten zur Möglichkeit, einige über die individuelle Forschungsarbeit hinausgehende Fragen im Blick auf das Dasein als Doktorand an sich selbst zu richten. Auch wenn die individuellen Antworten auf folgende Fragen nicht an jeder Stelle der Texte, welche im Rahmen der Initiative entstanden sind, explizit werden, so begleiteten sie die Teilnehmenden doch in unterschiedlicher Weise durch das Jahr 2015. Das Jubiläum der Universität Wien wurde somit auch zu einem Impuls, erneut zu überlegen, was es uns eigentlich bedeutet, Doktorand zu sein.

Dass dies weitaus mehr sein kann als „nur“ erfolgreich ein wissenschaftliches Projekt durchzuführen oder einen akademischen Titel zu erwerben und faktisch zahlreiche grundsätzliche Aspekte der Zugehörigkeit zu einer Universität berührt, bezeugt das Aufkommen von derartigen Fragen: Was begeistert mich an meinem Projekt, und warum schreibe ich eine Monographie an dieser Universität statt irgendwo anders? Wer sind meine Mentoren, wer meine Kollegen, und welche Rolle spielen sie für meine Entwicklung? Was erhoffe ich mir von meiner Forschung, aber auch von der Lebensphase, in die sie eingebettet ist? Was möchte ich im Blick auf mein berufliches und persönliches Leben aus der Dissertationsphase machen? Hätte ich ähnlich gehandelt wie die Doktoranden, mit denen ich mich im Rahmen dieser Initiative beschäftigt habe? Was waren in meiner bisherigen Dissertationszeit entscheidende fachliche, aber auch persönliche Weichenstellungen und Entscheidungen, die Entwicklungen ermöglichten, aber vielleicht auch verkomplizierten oder sogar verhinderten? Was habe ich dabei wissenschaftlich gelernt, was persönlich? Wie kann ich gewonnene Kompetenzen und entwickelte Fähigkeiten zukünftig produktiv nutzen? In welchem Kontext möchte ich dies verfolgen, und welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? Welche Aspekte sind mir als Doktorand im Erleben von Forschung, Lehre und universitärer Gemeinschaft wichtig geworden? Und schließlich: Wofür stehe ich selbst fachlich und persönlich – wer will ich eines Tages geworden und gewesen sein als Mensch, der in mehrerlei Hinsicht prägende Jahre an der Universität Wien verbracht hat?

Die hier vorgestellte Doktoranden-Initiative versteht sich damit zum einen als fachlicher Beitrag zur Reflexion der Instituts- und Universitätsgeschichte, und andererseits als Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit einem Bildungsabschnitt, welcher die Autoren der folgenden Texte – ähnlich wie es früher den von ihnen betrachteten Doktoranden gegangen sein könnte – unmittelbar betrifft.


Die Autoren der Doktoranden-Initiative und ihre jeweiligen Beiträge sind:  

Christian Lewarth: Ida Halpern und die Vergleichende Musikwissenschaft  

Yoko Maruyama: Daigoro Arima und Akio Mayeda. Eine Würdigung zweier japanischer Musikwissenschaftler in Wien

Cornelia Stelzer: Die Situation am Wiener Institut für Musikwissenschaft zur Zeit von Österreichs Anschluss an das Deutsche Reich

Svetlana Tantscher: Ernst Emsheimer: Ein wissenschaftlicher Wanderer im Schatten politischer Ideologien  

Daniel Tiemeyer: Ernst Kurth als Student des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Wien

Meike Wilfing-Albrecht: Ein „Kapitel österreichischer Unbegreiflichkeiten“. Egon Wellesz und das Musikhistorische Institut der Universität Wien

Das Lektorat der Texte übernahm Elisabeth Merklein; Barbara Babic und Carolin Krahn waren für die Organisation und Koordination des Projekts verantwortlich.


Besonders betonenswert ist, dass der Denk-Raum, welcher sich im Rahmen der Doktoranden-Initiative in Anbindung an das Institut für Musikwissenschaft entfalten konnte, in seiner inhaltlichen Ausgestaltung abseits jeglicher inhaltlicher Richtungsvorgaben vollständig den beteiligten Doktoranden überlassen war.

Entstanden ist diese Initiative auf Anregung der Institutsleitung zum 650. Universitätsjubiläum, namentlich Birgit Lodes und Michele Calella. Finanzielle Unterstützung erfuhr das Vorhaben durch die Philologisch-kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, vertreten durch Dekan Matthias Meyer. Außerdem begleiteten die Doktoranden-Initiative Wolfgang Fuhrmann, insbesondere im Kontext von Recherchen im Institutsarchiv, sowie Nikolaus Urbanek, der zu Beginn des Projekts noch als Universitätsassistent am Institut für Musikwissenschaft tätig war. Stefan Gasch unterstützte die Initiative bei der Redaktion. Die Forschungsarbeit im Universitätsarchiv wurde mitsamt einer umfassenden Einführung zu den relevanten Archivbeständen von Ulrike Denk begleitet. Beratend zur Seite standen der Doktoranden-Initiative außerdem Herbert Posch und Markus Stumpf vom Institut für Zeitgeschichte sowie Olivia Kaiser-Dolidze von der Universitätsbibliothek Wien.

Wir danken allen beteiligten Personen für ihre Mitarbeit und Unterstützung sowie für das Forum, welches den Doktoranden im Rahmen dieser Initiative am Institut für Musikwissenschaft zum 650. Jubiläum der Universität Wien gegeben wurde.

Barbara Babic | Carolin Krahn