Vortrag: Gibt es eine Weltgeschichte der Musik? Mit Carl Dahlhaus auf dem Weg zu einem komparativen Blick auf die musikalische(n) Moderne(n)

Tobias JANZ, Kiel

Die Grundlagen der Musikgeschichte (1977) von Carl Dahlhaus bauen auf einer Vielzahl vorab veröffentlichter meist kleinerer Beiträge, Glossen und Kommentare auf, die als pointierte publizistische Einwürfe nicht selten wertvolle Anregungen und Einsichten enthalten, die im Sog der tiefergehenden Methodenreflexion der Grundlagen aus dem Blickfeld geraten sind. Dies gilt auch für den kurzen Text „Gibt es eine Weltgeschichte der Musik“, der 1975 auf einer Seite im ersten Band von Melos/NZ erschien. Dahlhaus geht hier der Frage nach den Chancen einer globalen Musikgeschichtsschreibung nach, die mehr wäre als eine sich mit dem Titel der „Universalhistorie“ schmückende Geschichte der abendländischen Musik. Wie häufig bei Dahlhaus türmen sich zunächst jedoch die Schwierigkeiten und Probleme: Wenn die Anmaßung einer um das Gravitationszentrum Europa kreisenden Weltgeschichtsschreibung problematisch geworden ist, was wäre dann Weltgeschichte? Die Geschichte aller „nebeneinander lebenden Kulturen“? Oder nur die von „Hochkulturen“ mit weltgeschichtlichem ‚Impact‘? Wenn die Weltgeschichte der Musik methodisch als „historische Komparatistik“ denkbar ist, wie ginge man mit dem Resultat um, dass in deren Perspektive möglicherweise Gershwin ein größeres musikgeschichtliches Gewicht besäße als Bruckner? Welche Strukturen und Prozesse wären im Sinne von „Idealtypen“ vorauszusetzen, um dem musikgeschichtlichen Kulturvergleich überhaupt erst „Sinn und Bedeutung“ zu verleihen, um Weltgeschichte der Musik erzählbar zu machen?
Die von Dahlhaus aufgeworfenen Fragen lassen sich heute besser und anders beantworten, als Dahlhaus dies vor 40 Jahren vorgeschwebt haben mag, denn Globalgeschichte und Kulturvergleich gehören zu den Trends in Geschichtswissenschaft und Kultursoziologie. Die Problemdiagnose von Dahlhaus kann dabei hingegen noch heute Orientierung geben. Der Vortrag beginnt deshalb mit einer kontextualisierenden Re-Lektüre von Dahlhausʼ Kurzbeitrag, diskutiert daraufhin neuere Ansätze der Kultursoziologie, insbesondere Shmuel N. Eisenstadts komparatistische Kultursoziologie der Moderne. Daran anschließend soll am Beispiel der ‚African Art Music‘ und der mit ihr verbundenen „Herausforderung“ (Kofi Agawu), genauer: am Beispiel des nigerianischen Komponisten Joshua Uzoigwe nach Chancen und Schwierigkeiten einer Weltgeschichte der Musik heute gefragt werden.