Vortrag: Musikgeschichte oder Musikgeschichte? Zur Fiktionalität historischer Narrative und der Traditionsbildung in der Neuen Musik
Susanne KOGLER, Graz
Ist in unserer „postmodernen Moderne“ Geschichte auch längst durch Geschichten ersetzt, haben spezifische Perspektiven wie „Sozialgeschichte“ oder „Geschichte der Gewalt“ auch die der Universalgeschichte schon lange abgelöst, bleibt dennoch die Problematik der Fiktionalität historischer Narrative bestehen. Auch die Beschäftigung mit musikalischen Phänomenen vermag ihr nicht zu entkommen. Geschichtsforschung und Kulturtheorie sind sich darüber einig, dass das Problem dabei nicht so sehr die Teleologie an sich, sondern die Bestimmung des Telos einer Erzählung ist. Die kritische Frage, warum wir welche Geschichten wie erzählen und wiedererzählen, stellt sich auch für die Musikhistoriographie.
Die französische Philosophin Anne Boissière hat in Anknüpfung an Walter Benjamins und Hannah Arendt Adornos Materialtheorie weitergedacht. Die von Adorno reflektierte Problematik der künstlerischen Kreation liegt ihr zufolge in der Neutralisierung des Materials einerseits und, damit korrespondierend, in der Gefahr der Subjektivierung andererseits. Diese Überlegungen greift der erste Teil des Beitrags auf. Grundthese ist, dass, was für das Material der Kunst gesagt werden kann, auch für das Material der Geschichtsschreibung gilt: Die historische Überlieferung ist als kollektive Erfahrung anzusehen, an der wir teilhaben und die wir weiterbilden - durch unsere subjektive Erfahrung hindurch. Die Verantwortung des Historikers und der Historikerin liegt daher darin, dem unter bestimmten Kriterien als relevant Wahrgenommenen adäquat zur Erscheinung zu verhelfen.