Vortrag: Formalisierung und die Konstruktion von Historizität – Musikausübung aus dem Blickwinkel anthropologischer Ritualtheorien
Bernd BRABEC de MORI, Graz
Musik, in vielen Definitionen des Begriffes, etwa von Bruno Nettl, definiert sich durch einen gewissen, und sei es ein minimaler, Grad von Formalisierung (oder Organisation) – dies mag als eine „schwache Universalie“ angesehen werden. Diese Formalisierung erlaubt in vielen (wenn auch nicht allen) Musikkulturen der Welt auch eine Wiederholung, sprich die Entstehung von Tradition, Kanon, oder Repertoire. Weiters sind sich viele Forschende einig, dass Musik, per definitionem, eine Bedeutung im weitesten Sinne innehat.
In anthropologischen Theorien werden formalisierte Handlungen und Handlungsabläufe, die ohne oder mit wenigen Änderungen wiederholt werden können und symbolisch aufgeladen sind, als Rituale bezeichnet. Der Begriff Ritual ist ein metasprachlicher, er benennt keine Qualität eines Objektes oder Ereignisses, sondern entspringt dem Blickwinkel des Betrachters und kann als analytisches Werkzeug auf jegliche Handlungen angewendet werden, die oben genannten Eigenschaften entsprechen.
Auf Ritualtheorien vor allem von Turner, Tambiah und Bell rekurriernd wird der iterative Aufbau von traditionellen, kanonischen, oder repertoirebasierten Musikaufführungen aus verschiedenen Teilen der Welt beleuchtet. Nach Tambiah sind Rituale Werkzeuge um die Stabilität der Welt (das heißt einer bestimmten Weltsicht) aufrecht zu erhalten; durch die Erneuerung der Weltsicht wird auch deren Geschichte aufgeführt. Raimund Vogels hat 2011 „Das Konzert“ mit einem afrikanischen Begräbnisritual verglichen. Darauf aufbauend und weiterführend wird gezeigt, wie die Entstehung von Geschichtlichkeit ritualtheoretisch interpretiert werden kann.